Kompressionskleidung für Sportler – Lass dich drücken
Druck. Ein für Sport er durchaus positiv belegter Begriff. Der Druck, der Beste zu sein. Der Druck, die in sich gesetzten Erwartungen erfüllen zu wollen. Der Druck, den man sich selbst setzt: immer schneller, immer höher, immer weiter.
Und noch ein Druck wird im Sport zunehmend als förderlich betrachtet und zwar der, der von der Bekleidung auf den Körper ausgeübt wird. Kompressionswäsche hat längst ihren Ruf als ,,Omas Stützstrumpf verloren, ein Verdienst, der in erste Linie einem immer noch überschaubaren aber umso engagierter agierenden Kreis von Sportartikelherstellern und ihren umsatzsteigernden Werbeträgern angerechnet werden darf: SKINS etwa setzt auf die brachiale Kraft der Rugby Stars Thurston und Robbte Farah. Der zehnmalige lron-Man-Gewinner von Neuseeland, Cameron Brown, schwimmt, radelt und läuft in Produktendes australischen Textilspezialisten 2XU. Und CEP kleidet als Ableger des deutschen Kompressions-Pioniers medi gleich den gesamten Deutschen Skiverband sowie die Basketball Bundesligisten des BBC Bayreuth ein.
Aus Bayreuth stammt auch Philipp Petzschner, dem es als Doppelspieler und einzigem deutschen Tennisprofi nach Boris Becker und Michael Stich gelungen ist gleich zweimal ein Gland-Slam Turnier zu gewinnen: Ich muss sagen, dass ich nur noch selten müde Beine habe, seit ich Kompressionstrümpfe trage”, fasst er seine Erfahrungen mit den noch immer etwas exotisch wirkenden Beinkleidern zusammen,“ dass Aussehen ist noch neu und für viele Kollegen gewöhnungsbedürftig. Da man im Tennis jedoch viel herumreist, wird Kompressionskleidung hier immer beliebter.” Auf dem Court spielt er auch gern in neon-gelben Night-Running-Socks von CEP – die machen sich nicht nur bei Flutlicht-Matches gut, sondern passen auch zur Farbe eines noch jungfräulichen Tennisballs.
So funktioniert´s
Kompressionskleidung übt sanften Druck aus, und zwar von außen auf den Körper. Dadurch werden Muskulatur und Bindegewebe stärker durchblutet und der venöse Rückstrom verbessert. Fließt das Blut also schneller zum Herzen hin und durch die Weitung der Arterien wieder weg, werden Muskeln und Organe auch schneller wieder mit Sauerstoff versorgt. Das Ergebnis dieser Beschleunigung der körpereigenen Energieversorgung ist – zumindest, wenn es nach der Sportartikelindustrie geht – erstaunlich: Sportler sollen länger an der aeroben Leistungsgrenze agieren können, weniger Leistungsabfall beklagen und dadurch den entscheidenden Wettbewerbsvorteil erlangen. Ein willkommener Nebenaspekt: Durch den anliegenden Druck auf das Unterhautvenensystem wird das Blut gezwungen, seinen Weg durch die inneren Leitvenen zu finden – Krampfadern wird damit effektiv vorgebeugt.
Ermutigende Studien
0b sich Kompressionsstrümpfe, -tights und tops tatsächlich leistungsfördernd auswirken, darüber besteht in der Wissenschaft indes Uneinigkeit. Als sicher gilt dass die entsprechende Kleidung in erster Linie bei der Regeneration gute Dienste leistet. Speziell diesem Thema widmete sich etwa die Universität von Exeter in einer Studie vom April 2010, die die Wirkung von Kompression auf die gesamte untere Körperhälfte untersuchte. Dabei wurden verschiedene Sportmannschaften der Hochschule einer hohen körperlichen Belastung ausgesetzt. Die Probanden, die dabei Kompressionsstrümpfe trugen, zeigten sich am darauffolgenden Tag weniger erschöpft und erzielten in Maximal- und Schnellkrafttests bessere Werte. Bei einer ähnlichen Studie aus dem Jahr 2007 klagten Läufer 24 Stunden nach einem intensiven Dauerlauf über deutlich weniger Muskelkater. Und Rugbyspieler, die nach dem Training Kompressionskleidung anlegten, zeigten 36 Stunden später deutlich bessere Regenerationswerte als bei der Nutzung herkömmlicher Strategien wie Eisbäder und Massagen. Dabei hat Kompressionskleidung insbesondere im Liegen einen positiven Einfluss auf den Blutfluss und den Rücktransport von Lymphflüssigkeit – hier ist man schließlich auf heimischem Terrain und der ursprünglichen medizinischen Anwendung recht nahe.
Auch für die Erhöhung der Leistungsfähigkeit speziell bei Freizeitsportlern durch den Einsatz von Kompression gibt es zumindest ermutigende Hinweise, so etwa eine Studie der Universität Erlangen unter Leitung von Dr. Wolfgang Kemmler aus dem Jahr 2009. Der ließ 21 durchschnittlich trainierte Athleten zwischen 28 und 40 Jahren zu einem Laktatstufentest auf dem Laufband antreten und stattete sie vorher mit Kompressionsstrümpfen aus. Eine weitere Gruppe musste die Tortur ohne unterstützende Spezialkleidung angehen. Das Ergebnis erstaunte in dieser Klarheit auch den Wissenschaftler selbst: ,,Läufer mit Kompressionsbekleidung konnten im Stufentest wesentlich länger laufen und an der aeroben Schwelle eine signifikant höhere Geschwindigkeit realisieren als die Läufer der Kontrollgruppe.” Kemmler rechnet zwar nur mit einer Verbesserung von 1 bis 2 Prozent, die jedoch bei einem Langstreckenlauf durchaus die entscheidenden Minuten ausmachen könnten.
Diese Schlussfolgerung lässt sich auch auf andere Sportarten übertragen: Eine Studie von Dr. Benjamin Dascombe von der Universität zu Newcastle aus dem Jahr 2006 ergab etwa, dass Rennradfahrer eine deutlich verbesserte Sauerstoffversorgung in der Muskulatur und daraus resultierend eine Leistungssteigerung von durchschnittlich 15 Watt bei einem Fahrtest an der aeroben Schwelle aufwiesen, wenn sie Kompressionskleidung trugen. Auch die Laktatwerte waren positiv verändert.
Andere Untersuchungen zeigen sich hingegen deutlich zurückhaltender. Den bisher breitesten Ansatz zur Untersuchung der Wirkung von Kompression wählte die Deutsche Sporthochschule in Köln. Unter Leitung von Dr. Billy Sperlich liefen 15 gut trainierte Ausdauersportler im Alter von 22 bis 31 Jahren bei unterschiedlicher Belastung abwechselnd mit Ganzkörper-, Unterkörper- und Unterschenkelkompression sowie gänzlich ohne Kompressionswäsche. Unterschiede konnten jedoch nicht festgestellt werden. Einen leistungsverbessernden Effekt hält der Mediziner eher durch einen Umweg für möglich: ,,Kompressionstextilien sind mehr als Mittel zur Schmerzreduktion akzeptabel“, erklärt Dr. Sperlich, “eine Leistungssteigerung kann so zwar erreicht werden, ist aber schwer messbar.“
Eine Frage der Präzision
Andere Vorteile von Kompressionsbekleidung gelten als weitaus gesicherter. Durch die mit dem Tragen einhergehende Verringerung der Muskelvibration wird sie besonders für Sportarten interessant, bei denen es auf erhöhte Präzision am Schläger und am Ball ankommt. Der nordirische Golfprofi Rory Mcllroy, US-0pen-Gewinner von 2011und derzeitige Nummer 3 der Weltrangliste, schwört sowohl im Wettbewerb als auch bei der Regeneration auf eine speziell für seine Disziplin entwickelte Bekleidung. Nach einem harten Training schläft er auch schon einmal darin, um am nächsten Tag schneller wieder wohlauf und für den Wettkampf bereit zu sein. Ein weiterer Vorteil, den sich besonders Langstreckenathleten zunutze machen: Durch das vergleichsweise feste Gewebe stützen speziell Kompressionsstrümpfe die Sprunggelenke und vermögen durch die entstehende hohe Wärmeentfaltung zudem, Sehnen und Bänder zu schützen. Viele Sportler berichten auch über ein verbessertes Körpergefühl durch die ,,zweite Haut”: ,,Durch den angenehmen Druck an den Beinen fühle ich mich deutlich sicherer und kann noch besser an meine Grenzen und darüber hinaus gehen”, erzählt etwa Philipp Petzschner. Und der österreichische Extremsportler Christian Schiester ergänzt: „Der Druck ist angenehm und gibt mir ein völlig neues, positives Laufgefühl. Durch Kompressionsstrümpfe fühlen sich meine Sprunggelenke stabil an, und die Wade bekommt einen sicheren Halt.“
Kompression ≠ Kompression
Studienergebnisse hin, Expertenmeinung her: Um sich über die Wirkung von Kompressionskleidung auf das eigene Training zu vergewissern, kommt man um einen Selbstversuch nicht herum. Und der ist nicht ohne Tücken, denn der Begriff ist keineswegs geschützt – theoretisch darf also jeder hautenge Fummel von der Stange zur hochmodernen Kompressionsklamotte hochgejazzt werden Der Gang ins Sportfachgeschäft kann daher zumindest Erstkunden nur wärmstens ans Herz gelegt werden ,zumal die gewohnte Einteilung in Standardgrößen wie XS bis XL bei einem Kleidungsstück, das sich individuell variierend an den Körper anschmiegen soll, nicht sonderlich brauchbar erscheint. Denn anders als ihre medizinischen Verwandten werden Sportkompressionsstrümpfe nicht vorn Facharzt angepasst, weshalb bei ihnen zumeist der Umfang an der stärksten Stelle der Wade entscheidend ist, um einen genauen anatomischen Druckverlauf zu erzielen. Hersteller wie CEP unterscheiden bei ihren Produkten zum Beispiel zwischen vier verschiedenen Größen, die je nach Geschlecht einen Umfang von 25 bis 50 Zentimetern umspannen. Da die Kompression am Knöchel, also dem vom Herzen am weitesten entfernten Teil des Unterschenkels, am stärksten sein muss, beziehen andere Anbieter wie das Bamberger Unternehmen O-motion noch den Fesselumfang mit ein. Wesentlich komplizierter wird es, wenn gleich ein ganzer Kompressionsanzug für den Triathlon angeschafft werden soll: Hier werden die Werte für die eigene Körpergröße .und das Gewicht zugrunde gelegt, auch der Körperbau kann entscheidend sein – kein Wunder, dass SKINS zur Berechnung der optimalen Kleidungsgröße gleich einen eigenen Online-Rechner in seinem Webshop anbietet. Der deutsche Anbieter Rehband treibt die lndividualisierung auf die Spitze und wirbt gar damit, sich aufgrund kurzer Wege zur Entwicklungsabteilung in Schweden und der Produktion im estnischem Tallin optimal auf die Anforderungen seiner Kunden einzustellen und Kleidung somit schnell anzupassen und zu verändern. Das Maßnehmen durch den eigenen Schneider scheint da nicht mehr weit.
Kompressionskleidung aus dem Kaffeehaus?
Experten raten dazu, für erste Laufversuche mit Kompressionsbekleidung zunächst auf entsprechende Sportstrümpfe zurückzugreifen, ist hier das Risiko der falschen Größenauswahl vergleichsweise gering und der Effekt am deutlichsten spürbar. Außerdem ist der lnvestitionspreis auch bei einem namhaften Hersteller mit knapp 40 bis 50 Euro pro Paar absolut zu verschmerzen.
Überhaupt, die Kosten: Mittlerweile hat sich Kompressionskleidung im Sport zu einem derart ertragseichen Trend entwickelt, dass sich selbst Discounter und Läufern hinlänglich bekannte Kaffeeanbieter an den Markt und somit die Hoffnung auf das schnelle Geld herangeranzt haben. Doch die Auswahl will überlegt sein: Ein wichtiges Qualitätsmerkmal ist etwa der Anteil der äußerst dehnbaren Kunstfaser Elasthan, die häufig auch als Spandex bezeichnet wird Bei Billgheimern liegt dessen Anteil jedoch häufig bei nur 10 Prozent; Markenanbieter sind hier spendabler und setzen in der Regel ein hochwertigeres Elasthan ein ,das nicht nur eine höhere Kompression ohne Druckverlust, sondern auch einen deutlich besseren Tragekomfort bietet. Hochwertige Funktionsmaterialien bewirken zudem, dass die Kleidung fast trocken aus der Maschine kommt und somit schnelI wieder eingesetzt werden kann. CEP versieht seine Produkte sogar mit dem Gütesiegel für „Textiles Vertrauen“, das garantiert, dass selbst grell gefärbte Kleidungsstücke keine Schadstoffe freisetzen – besonders bei schweißtreibenden Ausdauersportarten und hauteng anliegenden Materialien ein nicht zu unterschätzendes Argument. Man lässt ja schließlich nicht alles an sich heran.
Quelle: SPORTSFREUND 09/2012 S.056-058